Ein historisches Literaturprojekt

Raststation im Atlantik

1. Februar 1629 – Die Sonne kletterte langsam hinter dem Compagnieberg hoch in den strahlendblauen Himmel. Es lag Reif auf den Blättern der Bäume. Eine leichte, kühle Brise wehte vom Atlantik Richtung Osten kommend durch die Bucht. Vogelgezwitscher war aus den Wäldern zu hören. Das weiß gekalkte Fort wurde von den ersten Strahlen der Sonne berührt. In der Brise wog sich die Flagge der Vereinigten Niederlande. Die Wachmannschaften waren damit beschäftigt, die Fackeln zu löschen und die Ablösung vorzubereiten.

„Aufstehen“, brüllte der Sergeant und zog die erste Silbe des Wortes extra lang, als gönne er großzügig seinen Männern die paar Sekunden mehr Schlaf. Man hörte Murmeln, Husten und das Klappern von Holzschuhen aus den Mannschaftsschlafsälen und von den provisorischen Lagern auf der Festungsmauer. Man hatte hier deutlich mehr Soldaten untergebracht als die Portugiesen. Dann eilten auch schon die ersten Soldaten in langen Unterhemden über den Innenhof zu den Latrinen und Waschgelegenheiten.

Auf diesem Innenhof stand, ziemlich genau in der Mitte, der etwas rundliche Sergeant Piet Tromp und stampfte mit dem Fuß auf. Ihm schien das alles nicht schnell genug zu gehen. Seit Isbrantsz Zeiten war der militärische Drill in dem Fort sehr trainiert und zur täglichen Routine geworden. Durch ständige Wiederholungen und Disziplin waren die Soldaten auch auf plötzliche Angriffe gut vorbereitet.

Der hölzerne Wachtturm am Eingang der Bucht war schon ein Jahr später einer kleinen steinernen Schanze mit einem Wachturm und drei Feldschlangen gewichen. Es gab immer noch einen Flaggenmast – es war aber schon der siebte. Seine Vorgänger waren meistens von einem starken Herbststurm gefällt worden. Die alte Drehbrasse war inzwischen auch gegen eine neue ersetzt worden und der mittägliche Wachwechsel folgte detaillierteren Regeln.

So wurde Punkt zwölf Uhr im Fort von einer weiteren Drehbrasse ein Schuss abgefeuert. Als Antwort folgte dann von der Mannschaft der Baaiwacht (dt. Buchtwache) ebenfalls ein Schuss und das sofortige Hochziehen der niederländische Flagge für etwa zehn Minuten. Das signalisierte den ordnungsgemäßen Ablauf. Die ablösende Mannschaft, geführt von einem Offizier, marschierte den langen Weg vom Fort über den Strand Richtung Wachturm. Gut zwei Stunden, dann war die Ablösung vor dem Wachturm angekommen. Die beiden Mannschaften stellten sich voreinander auf, salutierten. Die Mannschaft, die bis dahin Dienst hatte, marschierte zum Fort zurück – gut zwei Stunden, so dass sie am Nachmittag erst ankamen. Isbrantsz hatte sich dieses Ritual ausgedacht, nach dem der steinerne Turm fertiggestellt worden war. Für ihn war wichtig, dass auch hier, so weit entfernt von jeder Zivilisation klare Regeln herrschten.

Isbrantsz hatte nach fast zehn Jahren Dienst auf Nieuw-Texel um ein neues Kommando gebeten. Im Sommer 1613 hatte er dann die Insel verlassen. Sein Nachfolger war der damalige Bauingenieur van Dijk gewesen. Er wurde vor zwei Jahren in die Niederlande zurückbefohlen.

Das Kommando hatte nun eine kleine etwas blasse Gestalt mit einem recht imposanten Namen Johan Willem van de Walt. Er hatte mehr von einem Buchhalter, als von einem Kommandanten. Somit fiel Sergeant Piet Tromp die Rolle des militärischen Verantwortlichen zu. Vielleicht war diese Art der Arbeitsteilung gar nicht schlecht.

Das kleine Städtchen hatte sich deutlich weiter entwickelt. Jan van Dijk hatte immer wieder neues Baumaterial besorgen lassen und, wie im heimischen Amsterdam angefangen ein Grachtenplan zu entwerfen. Der kleine Fluss, der aus den Wäldern hervortrat, an dem Fort vorbeifloss und in die Große Bucht, war auf einem langen Stück in zwei Ziegelmauern gefasst worden. Van Dijk hatte auch bei der Kaimauer ganz Arbeit geleistet. Es war tatsächlich möglich, dass durchschnittlich große VOC-Schiffe an der Kaimauer festmachen konnten. Etwa fünfzig Schritt von der Kaimauer standen die Lagerhäuser – Magazijn genannt, ganz im niederländischen Stil. Nur die Vegetation von Palmen und die teilweise große Hitze, wenn mal kein Wind ging, erinnerten den Besucher, dass man sich knapp unterhalb des Äquators befand. Das Fort hatte man ganz im Stil der portugiesischen Erbauer in weiß belassen und kälkte die Mauern regelmäßig.

Hinter dem Fort war ein kleiner Friedhof mit einer kleiner schlichten Kapelle entstanden. Es waren rund sechs Duzend Grabsteine, teilweise mit portugiesischen Namen, jedoch deutlich mehr mit niederländischen oder anderen europäischen Namen.

Links und rechts des kleinen Flusses, den die Niederländer von Rio de Martiniano in Kleine Amstel umgetauft hatten, lagen einige Plantagen, auf denen, neben Zitrusfrüchten, auch Getreide, Hafer und sogar Tomaten angebaut wurden. Adriaan Isbrantsz hatte sogar auf einem Feld Weinstöcke pflanzen lassen. Daraus gewann man jedes Jahr ein paar Fässer Most, der eher nach einer Ahnung von Weißwein schmeckte. Die Pflege der Plantagen oblag den Wachmannschaften des Forts. Dies war auch eine Anweisung von Isbrantsz gewesen. Er hatte sich ganz bewusst gegen die Verwendung von Sklaven für die Feldarbeit ausgesprochen. Das hatte er aber nicht aus purer Menschlichkeit getan, sondern um den Mannschaften eine sinnvolle Aufgabe zu geben.

Zu van Dijks Zeiten kamen dann doch die ersten schwarzen Sklaven nach Nieuw-Texel. Allerdings waren von den rund dreißig Menschen fast alle Frauen, die den Mannschaften zum Vergnügen dienten. Unweit des Forts stand ein recht gepflegtes Gebäude, das die Frauen beherbergte. So gab es inzwischen auch das ein oder andere Mischlingskind mit dunkler Hautfarbe und blondem Schopf.

Auch hatte van Dijk die Anordnungen der VOC genauestens befolgt. Er hatte eine Gracht um ein paar neugebaute Magazine anlegen lassen: Diese Magazine waren mit vergitterten Türen und Fenstern, sowie eingemauerten Ringen und Ösen versehen worden. Die zwei fast gleichgroßen Häuser umgeben von einer Mauer mit Laufgang. Von dieser Anlage zur Kaimauer waren es nur gute zweihundert Schritte. Gefüllt aber waren die Räumlichkeiten zu dieser Zeit noch mit landwirtschaftlichen Produkten, wie Weizen, Hafer, Hirse und dieser neuen Sorte namens Mais. Schon die Portugiesen hatte Mais hier begonnen angepflanzt.

Thomas Evertsen hatte sich vor ein paar Jahren Tomatensamen mitbringen lassen und erfolgreich inzwischen ein paar Felder mit Tomaten angepflanzt.

Gebaut wurde immer noch – vor allem Lagerräume. Die Plantagen und Felder waren mit einem kleinen Kanalnetz versehen worden, um ausreichend Wasser der Kleinen Amstel zur Bewässerung zur Verfügung zu haben. Die Erträge waren enorm.

Gerade als Sergeant Piet Tromp die Stimme erheben wollte, um den Tagesbefehl auszugeben, krachte ein Schuss der Drehbrasse von der Buchtwache in die tägliche Routine. Sofort brach emsige Hektik aus. Ein Jeder wusste was er zu tun hatte. Das hatten die Soldaten jeden Tag geübt. Ein großer Teil der Soldaten liefen auf die Fortmauer, blickten Richtung Atlantik, erspähten sieben Schiffe unter vollen Segeln. Nachdem sie ihre Kanonen in feuerbereite Position gebracht hatten, erlag das Fort einer gespannten Ruhe. Sieben Schiffe – wenn das Engländer oder Spanier sind, ist es um uns geschehen, dachte Tromp ohne seine ernste Miene zu verziehen. Alle starrten auf den Flaggenmast, der Entwarnung signalisieren konnte.

Die Gefahr, dass spanische Schiffe Nieuw-Texel angreifen würden, war nicht unbedingt von der Hand zu weisen. Schließlich hatten kaum ein Jahr zu vor der niederländische Freibeuter Piet Heyn vor Kuba den größten Kaperschlag gegen die spanische Silberflotte geführt. Der Wert der erbeuteten Ladung betrug etwa 12 bis 15 Millionen Gulden und befähigte die Niederlande den Krieg gegen Spanien in den Niederlanden fortzuführen.

Dann endlich, die niederländische Flagge wurde neben dem Turm der Buchtwache emporgezogen. Ein Jubel brach unter den Männern aus. So kamen auch endlich Nachrichten aus der Heimat nach Nieuw-Texel.

Ein Ruderboot legte von der Buchtwache ab und machte längsseits des ersten, sehr langsam einfahrenden Schiffes fest, das, wie die anderen Schiffe auch die niederländische Flagge gehisst hatten. Je nach Tiefgang mussten die Schiffe in der Bucht ankern oder konnten an der Kaimauer festmachen. Das erste Schiff, das Flaggschiff Batavia, nicht viel größer als die Amstelveen damals, konnte man an der Kaimauer festmachen. Die restlichen Schiffe ankerten in der Bucht.

Bei den Seglern der damaligen Zeit dauert ein Anlegemanöver mitunter Stunden, oder wenn der Wind schlecht stand, sogar Tage. Die leichte Brise machte die Sache recht einfach. Der mit dem Ruderboot übergesetzte Lotse half dem Steuermann das Schiff an die Kaimauer zu manövrieren.

An der Kaimauer standen schon erwartungsvoll fast einhundert Personen.

„Was ist das für ein Schiff“, fragte einer der Soldaten einen anderen.

„Ich vernahm, dass das die Batavia ist. Auf dem Weg nach Batavia“, antwortete der Angesprochene.

„Da sind ja Frauen an Bord“, rief ein kleinerer Soldat mit einem rötlichen Schnurrbart.

Johan Willem van de Walt stand an der Kaimauer und beobachtete das Anlegemanöver der Batavia. Sergeant Tromp hatte schnell zwei Reihen Arkebusiere antreten lassen. In ihren uniformähnlichen Aufzug machen sie auf die Ankömmlinge gewaltigen Eindruck.

Die Batavia hatte am 28. Oktober 1628 mit sechs weiteren Schiffen, der Buren, Dordrecht, s'-Gravenhage, Assendelft, Kleiner David und Zaandam Texel verlassen. Zwischen durch hatten sie einen kurzen Halt in Sierra Leone eingelegt. Die Batavia beherbergte dreihundert Personen aus Mannschaften und Passagieren, die schon vier Monate zusammen leben mussten.

Nachdem eine Laufplanke an das Schiff gelegt war, brachte sich ein großer Mann mit dunklem Schnurrbart und gebogene Nase in Positur um an Land zu schreiten. Van de Walt stellte sich an das Ende der Planke, Sergeant Tromp hob energisch den Kopf und brüllte irgendetwas, worauf die Soldaten ebenfalls Haltung annahmen.

Der Schnurrbärtige schritt die Planke entlang, blieb vor van de Walt stehen und sagte, „François Pelsaert, Kommandant der Handelsflotte nach Batavia.“

„Johan Willem van de Walt, Kommandant des Fort Willem van Oranje.“

Beide Herren verneigten sich tief voreinander. Dann wurde auch Piet Tromp begrüßt. Pelsaert folgten noch weitere Herren, der Kapitän Adriaan Jakobsz und der Apotheker Jeronimus Cornelisz. Van de Walt bat die Männer ihm ins Fort zu folgen. Von den anderen Schiffen setzten jeweils die Kapitäne und einige weitere Personen über. Irgendwie hatte man den Eindruck, dass vornehmlich die Passagiere froh waren, endlich festes Land unter den Füßen zu haben. Aus den Lagern wurden frische Lebensmittel an die Passagiere gegen einen geringen Obolus verkauft.

Ein paar Tage blieben die Schiffe im Hafen liegen. Man nahm frisches Wasser auf und füllte die Vorräte auf. Van de Walt ließ sich von einem der Zahlmeister genau Bericht erstatten, was man an die kleine Flotte abgegeben hatte – und das waren beträchtliche Warenmengen.

„Was? Noch mehr von den getrockneten Früchten“, fragte van de Walt den Zahlmeister, „hat man Euch denn schon oktroyiert weitere Waren herauszugeben?“

„Nein. Die Lager in den Plantagen sind wohl noch unentdeckt geblieben“, antwortete der Zahlmeister.

„Und so bleibt das auch“, wies van de Walt an. Dann klopfte es an die Tür. „Herein“, befahl er.

Ein ebenso hagerer und weißlicher Mann trat ein. Es war van de Walts Schreiber, der mit dünner Stimme sagte, „es warten ein paar Herren draußen und wären dankbar für eine Audienz.“

„Wir haben nichts mehr“, kochte van de Walt, „noch so eine Flotte und wir nagen daselbst am Hungertuch. Sie sollen sich fort machen.“

„Es scheint, als ginge es um etwas anderes. Doch sie würden liebend gern mit Euch sprechen“, lavierte der Schreiber und bog sich bei jedem seiner Worte von links nach rechts. Van der Walts Miene blieb düster und er antwortete, „na schön. Wenn’s um die Fresserei geht, werde ich sie rauswerfen.“

Mit mehreren Verbeugungen zog sich der Schreiber zurück.

„Und was wollt Ihr noch“, fragte van de Walt den stummen Zahlmeister, der überrascht war, den sonst überaus umgänglichen Kommandanten in einem solchen Ton reden zu hören.

„Er hat seine Order und jetzt rapido zurück zum Kai und observiert die Beladung weiter. In einer Stunde ist er wieder hier und rapportiert“, befahl van de Walt energisch. Der Zahlmeister verließ, wie der Schreiber, sich verbeugend den Raum. Die Tür blieb offen stehen und ein Gesicht erschien im Rahmen.

„Tretet näher und lasst mich Euer Begehr wissen“, sagte der Kommandant mit merklich gezügeltem Zorn.

„Verzeiht, Kommandant, dass wir Euch stören. Wisst Ihr, wie anstrengend eine solche Seereise ist“, fragte der Mann mittleren Alters und van de Walt war noch nicht ganz klar, worauf diese Frage abgezielt war und er entgegnete, „doch, das weiß ich sehr wohl. Auch ich bin vor Zeiten mit einem Schiff hier hergekommen und nicht hier geboren worden.“ Die Ironie hatte auch sein Gegenüber gemerkt. Inzwischen hatten sieben weitere, gutgekleidete Männer leise den Raum betreten und verhielten sich ruhig im Hintergrund. Van de Walt hatte die Invasion bemerkt und fühlte sich leicht überrumpelt. Der erste Mann fuhr fort mit den Worten, „auch die Frauen und Kinder haben sehr gelitten. Und so wollten wir uns erkundigen, ob es Euch recht wäre …“ Er machte eine Pause, die den Kommandanten fast um den Verstand brachte und ihn zum Fingertrommeln auf seinem äußerst rustikalen Schreibtisch aus der portugiesischen Zeit veranlassten.

„Ja, vielleicht ist es auch etwas aufdringlich zu fragen …“

„Sagt doch was Ihr wollt, sonst werden wir den ganzen Tag noch mit diesem Gespräch verbringen.“ Van de Walt wurde noch ungeduldiger.

„Wir möchten …“

„Nun sag schon“, ermutigte ihn eine Stimme aus dem Hintergrund.

„Wir würden gerne hier bleiben!“

Van de Walt guckte ihn an und fragte zurück, „im Fort?“

„Ähm, nein, hier auf Nieuw-Texel“, antwortete der Mann und die anderen nickten stumm.

„Ist auf den Schiffen denn so wenig Platz, dass Ihr an Land schlafen wollt?“

„Verzeiht, aber ich habe mich wohl missverständlich ausgedrückt. Wir würden gerne mit unseren Familien von Bord gehen und hierbleiben. Vielleicht braucht Ihr ja ein paar tüchtige Bäcker, Schmiede, …“

„… und Lehrer…“, erklang es aus einem der Münder.

„… und auch einen Zimmermann und einen Schiffsbauer …“, sagte ein anderer.

„Ich bin Kaufmann und kann Euch im Kontor wohl zu Diensten sein.“

Van de Walts Miene änderte sich schlagartig. Er dachte gerade an das Schreiben gerichtet an die Siebzehn Herren der VOC, an dem er schon seit Tagen schrieb. Er wollte seine Situation schildern und bitten, dass man in den Niederlanden ein paar Handwerker, möglichst mit Familien anwarb. Doch im Grunde hatte er mutlos seine Argumente zusammengeschrieben, in der Annahme, dass doch keiner hier leben wollte.

„Seid Ihr Euch denn da sicher“, fragte er in sanftem Ton zurück, „Ihr habt doch Frau und Kinder. Es ist ein anderes Leben, als in Amsterdam oder Leiden oder Delft.“

„Ich möchte ehrlich sein“, sagte einer aus dem Hintergrund und trat vor, „ich bin Gelehrter und wollte mit meiner Frau und meinem Sohn Piet nach Batavia. Doch die Strapazen haben meiner Frau übelzugesetzt. Sie ist sehr malade und ich möchte sie nach all den glücklichen Jahren nicht auf See bestatten.“ Seine Stimme brach bei jedem Wort ein bisschen mehr und mit dem letzten Wort rann eine Träne aus seinen Augen.

Dann sagte ein anderer, „es macht so malade und müde. Und wir haben noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft. Was wird uns noch alles erwarten?“

„Wie dieser Cornelisz den Frauen nachstellt. Mit der blonden Lucretia hat er wohl noch eine Weile zu schaffen und lässt in Gottes Namen meine Töchter in Frieden“, klagte der Bäcker Pieter Corneliszoon Hooft.

„Gut“, sagte van de Walt, „auch ich will ehrlich sein mit Euch. Das Leben auf Nieuw-Texel ist hart und mit wenig Zerstreuung. Ich möchte nicht, dass Eure Erwartungen über alle Maßen enttäuscht werden. Unsere Obliegenheit ist es, den Schiffen der VOC einen sicheren Hafen zu bieten.“

„Nur das katholische Fegefeuer muss jämmerlicher sein, als eine Schiffsreise“, bemerkte einer und ein kurzes Lachen ging durch den Raum.

„Davon sind wir hier weit entfernt“, gab van de Walt zurück, „wir brauchen Männer wie Euch, wenn wir etwas zu Wege bringen wollen.“ Ein Raunen war zu hören. „Sprecht morgen bei meinem Schreiber vor. Wir finden eine vorrübergehende Bleibe für Euch und Eure Lieben. Seid willkommen auf Nieuw-Texel.“

Am nächsten Tag drängten sich schon in der Früh fünfundzwanzig Personen und der Schreiber hatte Mühe zu seinem Pult zu gelangen. Sorgsam notierte er in ein Register folgende Eintragungen:

naam en leeftijd  
van de man
beroep van de man
van de vrouw
kinderen
Jan Pietersen Brouwer 37 jaar
smid
Sofie 32 jaar
Anna 6 jaar, Hendrik 11 jaar, Willem 14 jaar
Pieter Corneliszoon Hooft 42 jaar
bakker
Lientje 36 jaar
Isabella 16 jaar, Catharina 12 jaar, Maria 9 jaar, Albertine 5 jaar
Johan van de Velde 24 jaar
timmerman
Doortje 19 jaar - in goede hoop
geen kinderen
Mies Cuyper 47 jaar
leraar
Amilia 43 jaar
Piet 20 jaar
Willem Leemans 44 jaar
metselaar
Benthe 34 jaar
Martin 16 jaar, Peer 18 jaar
Conradus Willemsen 31 jaar
scheepsbouwer
Liesbeth 28 jaar
Rik van Bosch 32 jaar
koopman van de VOC
Marike 27 jaar
Andries 10 jaar

Van de Walt war begeistert. Er hatte schon mehrfach bei der VOC nachgefragt, ob man nicht Siedler nach Nieuw-Texel holen sollte, doch immer wieder hatte man in Amsterdam Desinteresse geäußert, gepaart mit der Resignation, dass sich mitten im Atlantik niemand ansiedeln wollte.

Man teilte die Männer, bis auf den Lehrer und den Kaufmann ein, die noch nicht fertiggestellten Lagerhäuser, zum Abschluss zu bringen. Dort kamen dann in bescheidenen Verhältnissen alle unter.

Van de Walt wies später den Familien Bauplätze um den Nieuwe Markt zu. Die bürgerlichen Häuser entstanden dann während der nächsten Jahre und die Namen der ersten Siedler werden noch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder in der Historie zu lesen sein.

Diese fünfundzwanzig Menschen waren der nun folgenden Katastrophe der Batavia unwissentlich entronnen.

Schon während der Reise der Batavia hatten sich Kapitän Adriaan Jakobsz und der Apotheker Jeronimus Cornelisz angefreundet. Sie schmiedeten einen Plan, die Reichtümer, die im Bauch der Batavia lagerten an sich zu bringen. Es ging um die stattliche Menge an Gold- und Silbergeld in 12 großen Kisten im Wert von 260.000 Gulden, was einer enormen Menge Geld entsprach. Luxusgüter in Form von Stoffen, Silberwaren für den Moghul-Kaiser, Wein, Käse, Kleidungsstücke, kostbare Juwelen und antike Schätze, sowie einhundertdreißig bearbeiteten Steine für das Portal des batavischen Kastells, die als Ballastgewicht während der Überfahrt dienten.
Wenige Tage später laufen die sieben Schiffe wieder aus, in Richtung ihrem nächsten Etappenziel – dem Kap der Guten Hoffnung. Die kleine Flotte verlässt am 22. April 1629 diesen letzten Aufenthalt vor der Überquerung des Indischen Ozeans. Ihr Ziel ist die Stadt Batavia auf der Insel Java. Dann kommt ein Sturm auf und die Schiffe werden getrennt – Jakobsz hilft hierbei ein bisschen nach und steuert die Batavia auf eine Südroute. Sie führt zuerst zu den südlichen Passatwinden, danach quer über den Indischen Ozean auf Australien zu und schließlich wieder nach Norden unter den Äquator.
Kurz vor Australien, was zu diesem Zeitpunkt nur an wenigen Küstenstreifen kartographiert war, liegen ein paar Inseln mit vorgelagerten Riffen. Schon die Portugiesen hatten diese Riffe entdeckt und in ihre Seekarten eingezeichnet. Zehn Jahre vor den jetzigen Ereignissen hatte der niederländische Astronom und Seefahrer Frederik de Houtman die Inselgruppe detailliert für die niederländische Seefahrt aufgezeichnet.
Der Plan sah vor, dass Cornelisz ein Disziplinarverfahren zu provozieren suchte, in dem er die hübsche und hochgestellte Lucrezia Jansz, immer öfter und offensichtlicher bedrängte. Pelsaert reagierte widererwartend nicht Cornelisz Provokationen.
In den Morgenstunden des 4. Juni 1629 lief die Batavia auf ein Riff der in den Wallabi-Inseln. Wahrscheinlich hatte Kapitän Jakobsz die Position falsch berechnet, was zu dieser Zeit häufiger passiert, da man den Längengrad ohne eine sehr genaugehende Uhr sehr schlecht berechnen konnte. Es liegt aber auch die Vermutung nahe, dass er dies bewusst getan hatte. Etwa 20 Personen wurden bei der Havarie getötet, alle anderen, also etwa 250 Personen erreichten Beacon Island, die man damals Batavias Friedhof taufte.
Aus diesem winzigen Eiland war aber kein Trinkwasser zu finden. Pelsaert versuchte per Boot das Festland zu erreichen, denn dort rechnete er sich die größten Chancen aus, Süßwasser zu finden. Doch alle diese Bemühungen waren vergeblich.
Als man sich klar wurde, dass die Stadt Batavia, ihr Ziel, nur gute 900 Seemeilen entfernt war, machten sich Pelsaert als der Kommandant der Flotte, Kapitän Adriaan Jakobsz als erfahrener Seemann und eine Gruppe Seeleute in zwei der stärksten Beiboote auf den Weg dorthin. Man kann es als unglaubliche seemännische Meisterleistung betrachten, dass Jakobsz die beiden offenen Boote tatsächlich bis dorthin geführt hat.
In Batavia wurde aber einer der Mitfahrer Jan Evertsz verhaftet, verhört und wegen maßgeblichem Verhalten und Fahrlässigkeit, die zum Untergang der Batavia geführt hatten, hingerichtet. Dabei wurde man der Rolle des seemännisch so tüchtigen Kapitäns Jakobsz gewahr, dennoch wurde er verhaftet und eingesperrt. Pelsaert ist wahrscheinlich nie ganz klar geworden, dass Jakobsz einen wesentlichen Anteil am Untergang der Batavia hatte.
Der batavische Generalgouverneur Jan Coen stellt François Pelsaert sofort ein Schiff zur Verfügung um die Überlebenden und die Reichtümer aus der Batavia zu retten. Zwei Monate brauchte Pelsaert gegen widrige Winde die Inseln zu erreichen.
Was sich unter den Überlebenden derweil abgespielt hatte, lässt tief in die dunkle Seite der menschlichen Seele blicken. Der Wassermangel war auf dem winzigen Eiland das Hauptproblem. Jeronimus Cornelisz hatte das Kommando übertragen bekommen und errichtete sukzessive eine Terrorherrschaft. Lucrezia Jansz war während dieser Zeit unter Zwang seine Gespielin. Außerdem träumte er wohl davon, nachdem er die Schätze der Batavia in seine Hand gebracht hatte, ein Rettungsschiff zu kapern und sein Leben als Pirat im Indischen Ozean fortzuführen.
Er hatte eine Reihe von ebenso zwielichtigen Gesellen zu Auserwählten erkoren. Diese Clique beging Morde, Vergewaltigungen und Foltern in zunehmendem Maße. So fand die Hälfte der Überlebenden ein oft grausames Ende.
Einige Soldaten unter der Führung eines bisher unauffälligen Soldaten Wiebbe Hayes hatten sich schon frühzeitig auf eine deutlich größere Nachbarinsel abgesetzt, auf der sie auch Süßwasser gefunden hatten.
Cornelisz ließ die Insel immer wieder angreifen, doch Hayes und seine Kameraden konnten, wegen ihrer deutlich besseren Ausbildung alle Angriffe zurückschlagen. Die damals provisorischen, niedrigen Schutzmauern aus Korallengestein, stehen heute noch und gelten als erste europäische Bauwerke in Australien.
Bei einem der härtesten Angriffe auf Hayes Trupp durch Cornelisz Männer kam zufällig die Rettung aus Batavia in Form des VOC-Schiffes Saerdam mit Pelsaert als Kommandanten. Als beide Parteien bewusst wurden, dass jetzt Hilfe nahte, begann ein förmliches Wettrennen zum Schiff, das Hayes gewann. Er konnte Pelsaert vor den Meuterern und einem Entführungsversuch warnen. Gemeinsam schlugen sie die Meuterer.
Pelsaert beendete kurzer Hand das Terrorregime und ließ alle Meuterer in Ketten legen. Ihm war bewusst, dass er alle Überlebenden und dann auch noch die Meuterer nicht gemeinsam nach Batavia zurückbringen konnte. So entschloss er sich vor Ort eine Gerichtsverhandlung durchzuführen. Schnell kam man zu dem Urteil, dass viele der Meuterer sofort hingerichtet werden sollten. Den übelsten Schergen wurden, bevor man sie auf einer schmalen Nachbarinsel an aufgestellten Galgen erhängte, die Hände abgeschlagen. Dieses Schicksal ereilte auch Jeronimus Cornelisz, obwohl er keinen Mord begangen hatte. Das Gericht war sich aber einig, dass er als Rädelsführer und Anstifter der meisten Straftaten schuldig war.
Zwei der Meuterer, die nachweislich geringere Straftaten begangen hatten, wurden an der australischen Küste ausgesetzt. Seit dem hatte man von beiden nichts mehr gehört. Es gab in den Jahrhunderten später in der Gegend das Phänomen deutlich hellhäutigerer Aborigines, so geht es aus Berichten von britischen Siedlern hervor. Man hatte im zwanzigsten Jahrhundert Blutgruppenuntersuchungen durchgeführt und war dabei auf merkwürdige Übereinstimmungen mit niederländischen Blutgruppen gestoßen. Das kann aber auch ein Zufall sein, denn im Jahre 1712 scheiterte ebenfalls ein niederländisches Schiff Zeewijk etwas nördlicher an der australischen Westküste. Die Schiffbrüchigen hatten nicht so viel Glück. Man hat nie einen Überlebenden des Untergangs gefunden. So besteht hier auch die Möglichkeiten, dass sich Europäern und Aborigines vermischt haben könnten.
Die restlichen Missetäter und die Überlebenden wurden mit der Saerdam nach Batavia gebracht, dort vor Gericht gestellt und verurteilt. Den „zweiten Mann“ des Terrorregimes Jacop Pietersz wurde auf das Rad geflochten, dass zu dieser Zeit die härteste Form der Bestrafung darstellte und einen langsamen Tod verursachte. Jakobsz konnte man, trotz Folter keine direkte Beteiligung nachweisen. Er entkam der Hinrichtung durch Mangel an Beweisen. Sein Schicksal ist aber lückenhaft. Sicher ist, dass sein Vermögen beschlagnahmt wurde und er im Gefängnis in Batavia starb. Im Folgejahr stirbt auch François Pelsaert. 1647 erscheint ein Buch mit dem Titel „Ongeluckige voyagie van 't schip Batavia“ (Unglückliche Reise des Schiffes Batavia) in dem auch mit Bildern die Reise sehr detailliert beschrieben wird.
In den Neunzehnhundertsiebziger Jahren wurden die letzten Wrackteile der Batavia gefunden und später geborgen. Heute kann man das Wrack und das steinerne Portal, das als Ballast gedient hatte, im maritimen Museum in Fremantle, Australien besichtigen.

Einen Monat bevor die Batavia auf das schicksalshafte Riff auflief, gab es auf Nieuw-Texel ein freudiges Ereignis. Kurz nach Sonnenaufgang am 10. Mai 1629 gebar Doortje van de Velde einen kräftigen Jungen, der wenige Tage später auf den Namen Willem van de Velde getauft wurde.


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Eingestellt: 17.11.2014
Geändert: 17.11.2014
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